Kaliningrad ist eine Belastung für Russland. Angeblich hat ein als Berater des exsowjetischen Präsident Michail Gorbatschow bezeichneter General 1990 Deutschland die Rückgabe des nördlichen Ostpreußens angeboten Gorbatschow bezeichnete den Spiegel-Online-Bericht darüber als „tote Katze“.
Von Axel Eichholz, Moskau
Der exsowjetische Präsident Michail Gorbatschow hat Berichte, wonach Moskau Deutschland die Rückgabe des ehemaligen Nördlichen Ostpreußens (heute Gebiet Kaliningrad der Russischen Föderation) 1990 angeboten haben soll, dementiert. Spiegel Online bezog sich in einem Ende Mai verbreiteten Bericht auf ein vom damaligen Leiter der politischen Abteilung der Moskauer Botschaft Bonns, Joachim von Arnim, unterzeichnetes Geheimpapier. Danach soll ihm Sowjetgeneral Geli Batenin bei den 2 plus 4-Gesprächen über die deutsche Wiedervereinigung Verhandlungen über das weitere Schicksal Kaliningrads (Königsberg) in einem vertraulichen Treffen angeboten haben. Batenin wird in dem Spiegel-Artikel als Gorbatschow-Berater bezeichnet. Das Ansinnen sei zurückgewiesen worden, heißt es.
„Absolute Fälschung“
Gorbatschow bezeichnete den Spiegel-Online-Bericht als „absolute Fälschung“. „Die elektronische Spiegel-Version, der offenbar echte Sensationen fehlen, hat uns eine tote Katze zugeworfen“, sagte er gestern in einem Interview der „Nesawissimaja Gaseta“. Der sowjetischen Führung sei damit unterstellt worden, „woran sie nicht im Traume dachte“. In Russland sei diese Geschichte von denjenigen aufgegriffen worden, die seit Jahren nach einem Vorwand suchen, um die Politik der Perestroika in Verruf zu bringen. Jetzt jähre sich der Beginn der Perestroika gerade zum 25. Mal. Den Umstand, dass die Spiegel-Version bisher von keinem der Beteiligten dementiert wurde, erklärte der Ex-Präsident unter anderem damit, dass General Batenin bereits vor Jahren gestorben sei. Auch hätten weder von Arnim noch der Sowjetgeneral „ihrer jeweiligen Landesführung nahe gestanden“, so Gorbatschow.
Stalin wollte angeblich eine „Groß-DDR“
Der Nördliche Teil Ostpreußens mit der alten preußischen Hauptstadt Königsberg wurde 1945 in Potsdam der Sowjetunion zugeschlagen. Der Teil das südliche Ostpreußen und Danzig fielen an Polen. Im neuen Gebiet Kaliningrad blieb die deutsche Bevölkerung noch 1947 bis 1949 weiter leben. Zeitweise trug sich der Sowjetdiktator Josef Stalin gerüchteweise sogar mit der Idee, die Enklave der damals entstehenden DDR, die gemessen an der künftigen Bundesrepublik recht kümmerlich aussah, zuzuschlagen. Die angestammte Bevölkerung wurde erst vertrieben, als der sowjetische Marinestützpunkt in Pillau (Baltijsk) eingerichtet wurde. Danach wurde die Region von der Außenwelt abgeriegelt. Selbst Besucher aus anderen Teilen der UdSSR durften sie nur mit einer Sondergenehmigung betreten, von Ausländern ganz zu schweigen.
Wolgadeutsche zogen nach Kaliningrad
Die Öffnung des Gebiets nach der Demokratiewende von 1991 in Russland ergab ein trostloses Bild. Die jahrelange Abschottung hatte Spuren in allen Lebensbereichen hinterlassen. Hinzu kamen Versorgungsprobleme durch die Abspaltung Litauens von der UdSSR. Neureiche aus dem Kaukasus zogen unterdessen nach Kaliningrad. Eines Tages wollten sie im vereinten Europa erwachen. Die Gerüchte, wonach Russland die Exklave über kurz oder lang verlieren werde, wurden durch den Berliner Mauerfall genährt. Die Helsinki-Schlussakte hatte die Nachkriegsgrenzen für unerschütterlich erklärt. Wenn aber jetzt die wichtigste davon fiel, warum sollten andere bestehen bleiben, fragte man.
Wie ein Koffer ohne Griff
Warschau verfolgte die Entwicklung mit wachsendem Unbehagen. Als 5.000 wolgadeutsche Familien nach Kaliningrad zogen, richtete es eine Note gegen die „einsetzende Regermanisierung“ an Moskau. Die deutsche Bundesregierung reagierte auf alle Gerüchte über die angebliche Rückgabe Kaliningrads aus Rücksicht auf Polen und die Westalliierten jedes Mal mit der Feststellung, sie halte sich eisern an die Potsdamer Beschlüsse. Für Moskau ist das Problem auch heute keineswegs ausgestanden. Aus seiner Sicht muss Kaliningrad wie ein Koffer ohne Griff erscheinen: zu schwer und unhandlich zum Tragen, aber zu schade zum Wegwerfen.