Naoto Kan soll Japan führen


Es ist noch kein Jahr her, dass sich Japan mit der Wahl der Demokraten einen Wandel erhofft haben. Nun stecken die Demokraten in einem beispiellosten Umfragetief. Der neue Ministerpräsident Naoto Kan soll die Partei retten – und Japan neuen Schwung geben.

Von Susanne Steffen, Tokio

Das japanische Parlament hat den 63jährigen Naoto Kan am Freitag zum fünften Ministerpräsidenten in knapp vier Jahren gewählt. Wenige Stunden zuvor hatte die regierende Demokratische Partei (DPJ) den bisherigen Vizepremier und Finanzminister zum Vorsitzenden gekürt. Damit löst Kan seinen Parteikollegen Yukio Hatoyama ab, der am Mittwoch nach fast neun Monaten abrupt seinen Rücktritt von allen Ämtern angekündigt hatte.

Über US-Stützpunkte gestürzt

Hatoyama stand zuletzt unter wachsendem Druck aus den eigenen Reihen, nachdem er sein Wahlversprechen gebrochen hatte, eine umstrittene amerikanische Militärbasis zu verlegen. Letztlich konnte er sich nicht gegen den Widerstand aus Washington durchsetzen. Angesichts ungewohnt heftiger Bürgerproteste warfen ihm immer mehr Parteikollegen mangelnde Führungskraft vor. Hinzu kamen Parteispendenskandale, in die Hatoyama und der DPJ-Generalsekretär verwickelt waren.

“Wir müssen unsere Partei neu aufbauen und neu beginnen”, sagte Kan nach seiner Wahl zum Parteipräsidenten. Im Gegensatz zu einem Grossteil seiner Vorgänger stammt Kan nicht aus einer Politikerdynastie, in der Wahlkreise und Verbindungen zu Industrie und Bürokratie über mehrere Generationen vererbt werden. Vor seiner politischen Karriere war er in verschiedenen Bürgerbewegungen aktiv. Zur Politik kam er, als er für eine Frauenrechtlerin den Oberhauswahlkampf bestritt. Kan gilt in Politikkreisen als aufbrausend, aber integer. 1996 machte er sich als Gesundheitsminister einen Namen, als er zum ersten Mal die Verantwortung der Regierung für HIV-infizierte Blutprodukte anerkannte, Mehrere Hundert Menschen hatten sich zuvor in Krankenhäusern mit dem Aidserreger infiziert.

Verschuldung doppelt so hoch wie BIP

Kan bekräftigte, er werde die Politik seines Vorgängers in wesentlichen Punkten fortsetzen. So erwähnte er die Schaffung einer regionalen ostasiatischen Gemeinschaft und die Senkung der Treibhausgasemissionen bis 2020 um 25 Prozent im Vergleich zu 1990. Von seinen Vorgängern hat Kan einen schier unüberwindbaren Berg ungelöster Probleme geerbt: Die Staatsverschuldung liegt mit gut 200 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) bereits höher als in jedem anderen Industrieland. Die Sozialversicherungen stehen angesichts einer extrem schnell alternden Gesellschaft vor dem Kollaps. Die Wirtschaft kämpft noch immer mit den Folgen von fast 20 Jahren Stagnation. Und das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Politiker ist wieder einmal tief erschüttert.

Demokraten stürzen in Umfragen ab

Im vergangenen September, als die DPJ die konservativen Liberaldemokraten nach mehr als fünf Jahrzehnten aus der Regierung vertrieben hatte, standen mehr als 70 Prozent der Japaner hinter der neuen Regierung. Nach jüngsten Umfragen war die Popularität der DPJ-Regierung kurz vor Hatoyamas Rücktritt auf unter 20 Prozent gesunken. Ein Minus von 50 Prozent in nur knapp neun Monaten – so schnell hat selten ein Kabinett das Vertrauen der Wähler verspielt. Viel Zeit, das Ruder herumzureissen, bleibt Premier Kan nicht. Sollte er die für Mitte Juli geplante Oberhauswahl verlieren, droht ein politischer Stillstand.

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