Hinein in einen demokratischeren EWR


Ein Beitritt zum Europäischen Wirtschaftsraum würde die meisten Probleme lösen, welche die Schweiz heute mit der EU hat. Allerdings müsste sich auch die EU bewegen. Denn so undemokratisch, wie der EWR aufgebaut ist, steht er heute quer in der politischen Landschaft.

Von Steffen Klatt

Die Schweiz soll dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) beitreten. Das will Bundesrätin Doris Leuthard laut SonntagsZeitung nach den Ferien vorschlagen. Die bilateralen Beziehungen der Schweiz zur EU sind durch ein paar scheinbar unlösbare Probleme gekennzeichnet. Für jedes Thema müssen jahrelange Verhandlungen geführt werden. Bei einigen Themen bleiben die Verhandlungen stecken. So sind die Verhandlungen über ein Dienstleistungsabkommen bereits zweimal gescheitert. Zudem hat die EU ihre Ansprüche an solche Abkommen hochgeschraubt. Sie verlangt nun nicht nur, dass die Schweiz für den jeweiligen Bereich das bestehende EU-Recht übernimmt. Sie verlangt auch, dass die Schweiz sich zur Übernahme des künftigen EU-Rechts verpflichtet. Das kommt einer sektoriellen Aufgabe der Souveränität gleich. Schliesslich müssen Streitigkeiten stets politisch geregelt werden – und da sitzt die Schweiz stets am kürzeren Hebel. Im EWR dagegen können Streitigkeiten durch den Efta- und den EU-Gerichtshof geregelt werden.

Die Initiative von Bundespräsidentin Leuthard ist auch eine Referenz an Liechtenstein. Das Fürstentum ist dem EWR beigetreten, obwohl der langjährige Partner Schweiz sich für einen Alleingang entschieden hatte. Diese anderthalb Jahrzehnte sind für Liechtenstein eine Erfolgsgeschichte gewesen. Für Industrie wie Finanzplatz hat der EWR neue Möglichkeiten eröffnet.

Aber: Das grosse Problem, das die Schweiz einst von einem Beitritt abgehalten hat, besteht noch immer. Das Problem betrifft auch Liechtenstein und die anderen beiden EWR-Mitglieder Norwegen und Island: Der EWR bedeutet für seine Mitglieder, automatisch Recht zu übernehmen, über dessen Einführung sie nicht mitentschieden haben. Auf einem Kontinent, zu dessen Grundwerten die Demokratie gehört, ist das mehr als ein Schönheitsfehler. Eine Gemeinschaft demokratischer Staaten, in der ein Teil auf Dauer den Entscheidungen der anderen unterworfen ist, wird früher oder später zerfallen.

Der mögliche Beitritt der Schweiz muss daher als Chance verstanden werden, den EWR zu demokratisieren. Ziel muss es sein, dass die EWR-Staaten in allen Fragen mitentscheiden können, die auch sie betreffen. Zum mindesten müssen ihre Minister an den EU-Ministerratstreffen stimmberechtigt teilnehmen können, in denen über EWR-relevante Themen verhandelt wird. Zu überlegen wäre auch, wie die Parlamente der EWR-Mitglieder einbezogen werden könnten.

Das Schengenabkommen könnte als Modell für einen reformierten, demokratischeren EWR dienen. Denn es erlaubt allen Mitgliedern volle Mitsprache, also auch denen, die der EU nicht angehören. Die Minister der drei EWR-Staaten und der Schweiz nehmen an den entsprechenden Sitzungen der EU-Innenminister teil und stimmen mit ab. So sollten künftig die EWR-Minister an den entsprechenden Sitzungen der anderen EU-Ministerräte teilnehmen können. Ein „EWR-Ausschuss“ würde damit fester Bestandteil der EU-Gesetzgebungsmaschine.

Dagegen könnte eingewandt werden, dass die EU das niemals zuliesse. Aber die EU hat sich stark geändert, seit Ende der 80er Jahre der EWR ausgehandelt wurde. Sie war damals ein undemokratisches Gebilde, ohne echte Mitsprache selbst des Strassburger EWG-Parlaments, geschweige denn der nationalen Parlamente oder gar der Bürger. Seither hat sich viel getan. Das EU-Parlament hat nun alle Kompetenzen eines echten Parlaments. Die nationalen Parlamente werden einbezogen. Es gibt sogar die Möglichkeit einer Bürgerinitiative.

Gleichzeitig zeigt Schengen, dass mehr Mitsprache auch für Nichtmitglieder möglich ist. Die EU hat Norwegen und Island die Mitsprache gewährt, weil alle nordischen Länder auf der Beibehaltung ihrer jahrzehntealten Passunion bestanden haben. Die EU-Mitglieder Dänemark, Schweden und Finnland haben die Mitsprache ihrer nordischen Partner erzwungen.

Im Fall einer EWR-Reform sässen zumindest die drei EWR-Länder und die Schweiz in einem Boot. Darüber hinaus müssten Verbündete gefunden werden. Natürliche Kandidaten wären diejenigen Länder in der EU, die Ausnahmerechte haben: Grossbritannien, Dänemark und Schweden für den Euro, Grossbritannien und Irland für Schengen.

Eine Diskussion über einen EWR-Beitritt der Schweiz ist eine Chance, den Konstruktionsfehler des EWR zu beheben.

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