Die Gefahr eines Rückfalls des Welthandelssystems in den Protektionismus der 30er Jahre ist noch nicht gebannt, sagt Simon Evenett (Bild: Global Trade Alert), Professor an der Universität St. Gallen. Exportförderungsmassnahmen und vor allem Währungsabwertungen bergen die Gefahr eines globalen Handelskrieges.
Interview: Steffen Klatt, St. Gallen
Der Welthandel wächst wieder. Hat er alle Probleme hinter sich gelassen?
Simon Evenett: Es ist eine gute Nachricht, dass der Welthandel wieder wächst. Das sichert Arbeitsplätze und erhöht die Sicherheit von Familien und Ländern gleichermassen. Die Staaten haben aber die Schutzmechanismen noch nicht weggeräumt, welche sie während der Krise aufgebaut haben. Sie fügen ihnen sogar noch Exportfördermassnahmen hinzu, die den Exporteuren einen unfairen Vorteil einräumen. Hinzu kommt die Abwertungen der Währungen zur Förderung der jeweils eigenen Wettbewerbsfähigkeit. Japan hat das versucht. Der Euro ist gefallen. Jetzt fällt der Dollar. Das macht drei Hindernisse für den Welthandel.
Warum nennen Sie Massnahmen zur Exportförderung ein Hindernis? Die Regierungen sehen sie als ein Mittel gegen die Krise an.
Evenett: Diese Massnahmen geben den Exporteuren die Möglichkeit, ihre Preise im Verhältnis zu dem ihrer Konkurrenten zu erhöhen. Nicht alle Regierungen sind gleich grosszügig, und nicht in allen Bereichen gleichermassen. Das ergibt ungleiche Wettbewerbsverhältnisse.
Wer sind die „Bösewichter“ in diesem Spiel?
Evenett: Im wesentlichen die sogenannten BRIC- Staaten und zunehmend die USA. Die USA gewähren Exportförderungen, während Brasilien, Russland, Indien und China Steuererleichterungen für Exporteure gewähren.
Wo steht die EU?
Evenett: Europa kennt Exportförderungen, aber sie wurden nicht in gleichem Mass gestärkt. Vergessen Sie aber nicht, dass Europa während der Krise mehr Staatshilfe zur Rettung von Unternehmen gezahlt hat. Das Ausmass an Subventionen, wie wir sie in Europa gesehen haben, findet man kaum anderswo in der Welt. Europa hatte also schon zahlreiche Hilfsmassnahmen. Andere Staaten holen jetzt auf.
Wer sind die Opfer?
Evenett: Jeder, der gegen Exporteure aus solchen Ländern konkurrieren muss. Und jeder, der nicht in einer der geförderten Branchen ist. Also keine „grünen“ Produkte verkauft oder keine Flugzeuge.
Die G20 haben versprochen, nicht zu protektionistischen Massnahmen zu greifen. Halten sie ihr Versprechen nicht ein?
Evenett: Sie haben ihre Versprechen in den vergangenen zwei Jahren umfassend gebrochen. Sie haben das eine gesagt und das andere getan.
Sie haben die Abwertung von Währungen als Hindernis für den Welthandel genannt. Haben es Regierungen überhaupt in der Hand, Währungskurse zu beeinflussen?
Evenett: Einige ja, andere nein. Schauen Sie auf die Schweiz: Die Nationalbank hat versucht, die Aufwertung des Franken zu stoppen, und ist gescheitert. Die EU hat es nicht bewusst versucht. Die USA haben es versucht, und Japan ganz sicher. China stemmt sich gegen eine Aufwertung seiner Währung und ist damit auch erfolgreich.
Sind also kleine Länder auf eine Niederlage in diesem Spiel abonniert?
Evenett: Das ist so. Die gezielte Abwertung ging meist von grossen Ländern aus. Wenn die Währung eines kleinen Landes als ein sicherer Hafen für Anleger angesehen wird, dann ist es sehr schwer, etwas dagegen zu tun.
Sind diese Hindernisse für den Welthandel Zeichen der Krise und werden sie verschwinden, wenn die Krise vorbei ist?
Evenett: Sie sind Zeichen dafür, dass die Erholung in den meisten Ländern viel langsamer vonstatten geht, als Regierungen gehofft haben. Weil Regierungen immer verzweifelter versuchen, die Wirtschaft anzuwerfen und ihren Wählern zu gefallen, greifen sie eben zu anderen Mitteln. Dazu gehört auch die Währungsabwertung: Das erregt viele Leute kaum.
Besteht die Gefahr eines Rückfalls in den Protektionismus und staatlichen Autismus der 30er Jahre?
Evenett: Die Entwicklung der vergangenen Wochen mit ihren Währungsabwertungen war so beunruhigend wie keine Phase dieser Krise zuvor. Wir sind jetzt so nahe an den Gefahren der 30er Jahre wie nie in den vergangenen zwei Jahren. Das Finanzsystem hat sich zwar stabilisiert. Die Gefahren für das Welthandelssystem dagegen steigen ständig. Wenn die einen abwerten und die anderen darauf reagieren, dann geraten wir in eine Abwertungsspirale wie in den 30er Jahren.
Wie kann das verhindert werden?
Evenett: Dazu müssen Spitzenpolitiker einsehen, dass sie nahe am Abgrund stehen.
Diese Krise hat das Gleichgewicht der Kräfte in der Welt geändert. Trifft das auch auf den Welthandel zu?
Evenett: Die Veränderungen auf den Finanzmärkten sind auch im Welthandel sichtbar. China und Indien gewinnen an Gewicht, ebenso wie Brasilien und Russland. Wir bewegen uns auf ein multipolares Welthandelssystem zu. Die USA und die EU werden dieses System nicht mehr dominieren. Es braucht eine neue Art, damit umzugehen. Das ist die wichtigste Aufgabe der nächsten fünf bis zehn Jahre.
Bilden internationale Organisationen wie die Welthandelsorganisation den geeigneten Rahmen dafür?
Evenett: Die WTO spielt eine gute Rolle als ein Ort, an dem man sich über die Handlungen der verschiedenen Regierungen informieren kann. Aber sie wird keine zentrale Rolle für Verhandlungen spielen. Diese werden zwischen den einzelnen Regierungen stattfinden und vielleicht im Rahmen der G20.
Also ohne einen formellen Rahmen?
Evenett: So ist es. Die Regierungen, die durch eine solche Krise gegangen sind, wollen nicht durch einen formellen Rahmen gebunden werden.
Was heisst das für kleine, exportabhängige Länder?
Evenett: Für sie ist es eine unruhige, risikoreichere Zeit. Die Regeln, die ihnen einst Sicherheit geboten haben, werden nicht mehr auf die gleiche Weise festgelegt werden wie bisher. Aber auch für die grossen Länder wird es nicht leicht sein. Wir werden uns vom geregelten Welthandelssystem verabschieden. In Zukunft wird das System flexibler sein. Es wird das Ergebnis von Verhandlungen sein.
Sollten kleinere Länder sich nun nach Freunden in Asien umsehen?
Evenett: Alle exportorientierten Länder wären gut beraten, gute Beziehungen nach Asien zu pflegen. Die Schweiz hat bereits Freihandelsabkommen mit asiatischen Ländern abgeschlossen. Kleine Länder sollten versuchen, unter dem Radarschirm der grossen zu fliegen. Sie sollten es den Grossen überlassen, die offenen Fragen zu lösen. Unterdessen können sie sich darauf konzentrieren Geld zu verdienen. Ich denke, die Aussichten für kleine Länder sind noch immer sehr gut.
Zur Person
Der Brite Simon Evenett, Jahrgang 1969, ist Professor für Internationalen Handel und wirtschaftliche Entwicklung der Universität St. Gallen und Direktor des Schweizerischen Instituts für Aussenwirtschaft und angewandte Wirtschaftsforschung. Er ist Initiant des Anfang 2009 gegründeten Global Trade Alerts, der auf die Gefahren des aufkeimenden Protektionismus aufmerksam machen will.