Keine Angst vor den Deutschen


New York sieht die angekündigte Fusion seiner Börse mit der Deutschen Börse mit Selbstbewusstsein. Eher werden die Amerikaner die Deutschen beeinflussen als umgekehrt. Nun geraten auch die anderen grossen Börsen in den USA unter Druck.

Von John Dyer, Boston

Die Überraschung hält sich in Grenzen. New York hat keine Angst vor der Übernahme der New Stock Exchange (Nyse) durch die Deutsche Börse. „Wall Street wird seit hundert Jahren durch Juden mit deutschen Wurzeln dominiert“, sagt Richard Sylla, Historiker an der Universität New York. „Ich würde das nicht einmal als eine deutsche Übernahme der grössten amerikanischen Börse ansehen. Ich nehme an, dass die Amerikaner Deutschland stärker beeinflussen werden als umgekehrt.“

Wettrennen zur Größe

Der Zusammenschluss über Kontinente hinweg wird als Ergebnis der Globalisierung der Märkte angesehen. „Überall wird die selbe Sprache gesprochen“, sagt der Händler Benedict Willis. Es werde rund um die Uhr gehandelt. Das sieht auch sein Kollege Michael LaBranche so. „Die Kapitalmärkte sind heute überall.“ New York werde wichtig bleiben, aber es sei nicht das einzige Finanzzentrum.

Zur Globalisierung gehört auch der Hang zur Größe. „Es gibt ein Wettrennen, wer als schnellster immer größer werden kann“, sagt Elie Darwish von Exane BNP Paribas. Damit reagierten sie auf den Aufstieg von Volkswirtschaften wie China und Indien. Der transatlantische Handel sei nicht länger das Rückgrat der Weltwirtschaft. Die Börsen müssten darauf mit höhere Effizienz und modernen Technologien reagieren, um Schritt zu halten – und das kostet Geld.

Jahrzehnt der Übernahmen

Dabei hat die Konsolidierung der Branche in den USA längst begonnen. Die Nyse hatte 2006 Archipelago Holdings übernommen, einen Pionier des elektronischen Wertpapierhandels. 2007 übernahm sie – im Streit mit ihrem heutigen Fusionspartner Deutsche Börse – die Mehrländerbörse Euronext. Zur Euronext gehören die Börsen Paris, Brüssel Amsterdam und Lissabon. Ein Jahr darauf kam die American Stock Exchange ebenfalls in New York hinzu.

Auch der lokale Konkurrent des New Yorker Platzhirsches Nyse hat sich nach Europa erweitert: Die Technologiebörse Nasdaq, erst 1971 gegründet, übernahm 2007 die skandinavische Mehrländerbörse OMX, zu der die Handelsplätze in Stockholm Kopenhagen, Helsinki und im Baltikum gehören. Im gleichen Jahr kam die Börse Philadelphia hinzu, die älteste der USA.

Der zweite große Börsenplatz in den USA, Chicago, hat sich auf dem Heimmarkt konsolidiert. Die Chicago Mercantile Exchange, die sich auf landwirtschaftliche Termingeschäfte spezialisiert hat, übernahm 2008 den lokalen Konkurrenten Chicago Board of Trade. Ein Jahr später übernahm sie die New York Mercantile Exchange, die größte Warenterminbörse der Welt.

Lange nicht gewinnorientiert

Mit der Fusion der Nyse mit der Deutschen Börse, durch die der mit Abstand größte Wertpapierhandelsplatz der Welt entsteht, erhöht sich der Druck auf die Nasdaq und die Chicago Mercantile Exchange. Auch sie müssen nun größere Partner auf anderen Kontinenten finden. Weitere Übernahmen sind daher wahrscheinlich.

Doch das heisst nicht zwingend, dass die Übernahmen auch funktionieren. Gerade die Nyse hat lange den Charakter eines Altherrenklubs behalten. Gegründet von ein paar Händlern 1792 unter einem Baum, um fünf Wertpapiere zu handeln, blieb sie bis vor wenigen Jahren eine nichtgewinnorientierte Organisation. Erst 2005 ging sie selber an die Börse, um ihre geplanten Übernahmen zu finanzieren. Nun öffnet sie sich einer selbstbewussten ausländischen Börse. Ob das funktioniert – die Herkunft der Wall Street Banker hin oder her -, wird sich erst zeigen müssen.

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