Italien, noch immer ist er da


In jedem andern Land würde er mit Schimpf und Schande davongejagt. Nicht so in Italien. Die Mehrheit der Parlamentarier steht zu ihrem schwer angeschlagenen Ministerpräsidenten. Wieso eigentlich? Fotos aus dem Parlament sorgen für Missgunst.

Die Welt lacht über Berlusconi, Italien lacht über ihn. Die Wirtschaft und die Kirche haben ihm die Unterstützung entzogen. In den Umfragen taucht er, neue Prozesse stehen an. Seine Regierungsbilanz ist kläglich. Versprechen und Versprechen – und sonst nichts. Das Land steht still. In der Lega Nord, seinem Koalitionspartner, wächst der Zorn gegen ihn. Und noch immer ist er da.

Berlusconi verfügt im Parlament weiterhin über eine „kleine, aber solide Mehrheit“, wie er selbst sagt. Gestürzt werden kann ein Ministerpräsident nur, wenn ihm die Mehrheit des Parlaments das Vertrauen entzieht. Diese Woche hat er die 44. Vertrauensabstimmung gewonnen.

Das liegt daran, dass die Opposition wenig zu bieten hat. Doch nicht nur. Wieso lassen ihn die Parlamentarier nicht endlich fallen? Der Zorn vieler Italiener gegen die Politklasse wächst. „Geldadel“ nennen die Italiener ihre Parlamentarier-Kaste. Natürlich ist auch viel Neid und Populismus im Spiel.

„Was tun eigentlich diese Volksvertreter für das Volk?“, fragen sich die Italiener immer wieder. Jetzt sorgen Fotos für weitere Unruhe. Sie sind Wasser auf die Mühlen jener, die von „faulen und teuren Parlamentariern“ sprechen. Die Bilder zeigen Abgeordnete, die während den Sitzungen auf ihren Computern und iPads Fussballspiele anschauen oder Patience-Karten legen.

Behagliches Leben der Parlamentarier

Die Deputierten unterstützen Berlusconi nicht, weil sie ihn toll finden. Sie tun dies aus purem Eigeninteresse.

Kein Parlamentarier in der westlichen Welt verdient so viel wie in Italien. Und keiner geniesst solche Privilegien wie ein Deputato oder ein Senatore. Will man dieses komfortable Leben aufs Spiel setzen? Das täte man, wenn man Berlusconi stürzte. Denn dann könnte es Neuwahlen geben, und dann besteht die Gefahr, dass man nicht wiedergewählt wird.

Also unterstützt man den Ministerpräsidenten möglichst lange. So kann man sein behagliches Leben weiterführen, zumindest bis zu den nächsten Wahlen im Jahre 2013. Und behaglich ist dieses Leben.

Ein Durchschnittsitaliener verdient einen Achtel eines Parlamentariers

Ein italienischer Abgeordneter der grossen Kammer (camera dei deputati) verdient pro Monat 14‘045 Euro. Dazu kann er bis zu 5‘000 Euro Spesen in Rechnung stellen. Ist er gar Präsident einer der vielen Kommissionen, so erhält er zusätzliche 2‘014 Euro. Ein Senator (kleine Kammer) verdient etwas mehr: 14‘943 Euro pro Monat.

Nicht genug: Die Fondazione Rodolfo De Benedetti hatte schon 2008 ausgerechnet, dass die Parlamentarier kräftig dazuverdienen. Durchschnittlich erzielen die Abgeordneten jährlich 56‘000 Euro zusätzlich an außerparlamentarischen Einkünften.

Laut Rodolfo De Benedetti beträgt das Durchschnittseinkommen eines Italieners einen Achtel der Grundvergütung eines Parlamentariers.

Majestätisch schreitet er durch die Gassen

Italiens Parlamentarier werden gehätschelt und umgarnt wie kleine Monarchen. Vor dem Palazzo Montecitorio, dem italienischen Parlament, stehen Dutzende schwarzer Limousinen mit Chauffeur. Sie fahren die Abgeordneten ins Hotel, nach Hause, zum Flughafen oder ins feine Restaurant.

Manchmal gehen sie in der Mittagspause auch zu Fuss in ein nahes Ristorante. Meist werden sie begleitet von einem Assistenten und einer Sekretärin, die ihm das Aktenköfferchen trägt. Majestätisch schreitet der Abgeordnete – gekleidet in edles Tuch – durch die engen Gassen. Jeder Restaurant-Besitzer ist stolz, wenn ein Deputato bei ihm speist. Der Patron verbeugt sich mit Ehrfurcht, weist dem Onorevole den besten Tisch zu und offeriert ihm seinen teuersten Wein.

Isst der Abgeordnete aber im Restaurant des Parlaments, bezahlt er neun Euro für ein Essen: ein Degustationsmenu vom Feinsten. Dieses kostet den Steuerzahlen 82 Euro. Und natürlich verfügt ein Parlamentarier über weitere Vergünstigungen. Im Inland kann er gratis fliegen, Zug fahren oder das Schiff benutzen. Strassenzölle muss er keine bezahlen. In Fussballstadien sind Ehrenplätze für ihn reserviert, Kino-Eintritte sind gratis.

Für die Fahrten zu den Flughäfen kann er monatlich 800 Euro in Rechnung stellen. Wohnt er mehr als hundert Kilometer von einem Flughafen entfernt, erhält er eine zusätzliche Entschädigung. Natürlich muss ein Parlamentarier oft telefonieren. Dafür erhält er pro Jahr 3‘098,74 Euro Spesen. Das Handy allerdings müsste er selbst bezahlen. Die neuesten Modelle werden ihm jedoch von einer Telefongesellschaft „geliehen“.

Auch die Linke profitiert

Versuche, den Geldsegen etwas zu reduzieren, sind bisher gescheitert. Letztes Jahr brachte die Abgeordnete Silvana Mura von der Partei „Italien der Werte“ (Idv) den Vorschlag ein, das monatliche Gehalt um tausend Euro herabzusetzen. Emerenzio Barbieri von Berlusconis Pdl-Partei reagierte gereizt. „Demagogie“, rief er in den Saal.

Natürlich profitieren auch die Oppositionspolitiker von diesen Privilegien. Und manche von ihnen hoffen, so paradox es klingen mag, dass ihr Lieblingsbuhmann noch lange an der Macht bleiben möge.

Und selbstverständlich gibt es auch in Italien, in allen Parteien, viele ehrenwerte Abgeordnete, die aufrichtig bemüht sind, für das Wohl des Landes zu kämpfen. Doch der italienische Politstil ist so laut, dass man von ihnen kaum Notiz nimmt.

Das jährliche Basisgehalt eines italienischen Parlamentariers ist um 35‘000 Euro höher als jenes ihrer Kollegen in den USA. Seit 1948 ist das Einkommen der italienischen Parlamentarier um insgesamt 1185 Prozent gestiegen. Die Franzosen verdienen die Hälfte der italienischen Kollegen, die Spanier etwa einen Drittel. Auch im Europa-Parlament kassieren die italienischen Deputierten mit Abstand am meisten.

Noch können sie Karten legen

Die Parlamentarier zahlen 6,8 Prozent ihrer Diäten in eine Art Pensionskasse ein. Je länger sie im Parlament sitzen, desto höher ist dann ihre Pension. Wenn sie zum Beispiel fünf Jahre im Parlament gesessen haben und nicht wiedergewählt werden, erhalten sie insgesamt etwa 80 Prozent ihrer früheren Diäten.

Diesen Geldsegen will man doch nicht opfern. Doch immer mehr Parlamentarier wissen: Wenn sie bis zum bitteren Ende zu Berlusconi halten, könnten sie zusammen mit ihm untergehen. Manche denken deshalb nicht nur an morgen, sondern schon an übermorgen. Wenn sie sich rechtzeitig von ihm absetzen, besteht die Hoffnung, in zwei Jahren wiedergewählt zu werden.

Doch im Moment hält die „kleine, solide Mehrheit“ noch zu Berlusconi. Noch können die Deputierten im Parlament getrost Fussballspiele verfolgen und Karten legen. Lega-Chef Umberto Bossi hat Berlusconi hat am letzten Sonntag zugesichert, dass er Berlusconi bis 2013 nicht stürzen wolle. Auch die Lega-Abgeordneten fürchten um ihre Wiederwahl – und um ihr angenehmes Leben.

Article et photo parus dans “Journal21

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