Das Ende einer Freundschaft


Der Konvoi der Gegner der Blockade des Gazastreifens ist von der Türkei aus organisiert worden. Nun reagiert das Land heftig auf den Angriff der israelischen Marine. Ankara zitiert seinen Botschafter zurück und verlangt eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates.

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul

„Allah u Akbar“ schallt es über den zentralen Istanbuler Taksim Platz, im Wechsel mit „Nieder mit Israel“. Auf den Transparenten wird Israel mit somalischen Piraten verglichen, andere fordern „Israel raus aus dem Nahen Osten“. Die Menge besteht fast ausschließlich aus islamischen Aktivisten, darunter viele junge Frauen im schwarzen Ganzkörperschleier. Normalerweise sieht das Publikum auf dem Taksim Platz anders aus, aber die Nachrichten von dem israelischen Militäreinsatz gegen den maritimen Hilfskonvoi für das blockierte Gaza trieb gestern Vormittag vor allem die Anhänger der islamischen Gruppen auf die Straße. Waren es am Morgen erst einige hundert, die spontan ins Zentrum gelaufen waren, strömen am Mittag bereits organisierte Massen zu Tausenden zum Taksim Platz. Andere hatten sich bereits in der Nacht auf den Weg zum israelischen Konsulat gemacht, wo es bereits am frühen Morgen zu einer Straßenschlacht mit der Polizei gekommen war.

Unterstützung für islamische Kämpfer

Von den zuletzt gemeldeten 19 Toten, die Opfer der israelischen Militäraktion wurden, sollen zehn aus der Türkei kommen. Das entspricht den Zahlenverhältnissen auf den sechs Schiffen, die mit Hilfsgütern und Baumaterial beladen, gestern vergeblich versucht hatten, den Hafen von Gaza zu erreichen. Unter den 600 Menschen die den Hilfskonvoi begleiten, sind 400 Türken. Auch das Flaggschiff des Konvois, die „Mavi Marmaris“ kommt aus Istanbul. Eigentümerin ist die islamische Hilfsorganisation „Insan Hak ve Hürriyetleri ve Insani Yardim Vakfi“ (IHH). Diese islamische Hilfsorganisation war anlässlich des Krieges in Bosnien gegründet worden, hatte dann die islamischen Kämpfer in Tschetschenien unterstützt und konzentrierte sich in den letzten Jahren überwiegend auf Palästina. Angeblich hat die Organisation gute Beziehungen zur Hamas. Weil es ihr nicht gelang, für die Aktion Schiffe zu chartern, hat sie kurzerhand zwei Frachter gekauft, einer von ihnen ist die „Mavi Marmaris“.

UN-Dringlichkeitssitzung verlangt

Gemeinsam mit anderen islamischen Hilfsorganisationen veranstaltete IHH gestern in Istanbul eine Pressekonferenz, in deren Verlauf sie Israel des Mordes an „ihren Märtyrern“ beschuldigte. Einer der bekanntesten islamischen Publizisten der Türkei, Ali Bulac, bezeichnete den Angriff auf den Hilfskonvoi als „kriegerischen Akt“, den die Türkei nicht unbeantwortet lassen darf. Auf einer eilig einberufenen Pressekonferenz der Regierung, die der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc in Abwesenheit von Tayyip Erdogans, der noch in Südamerika ist, veranstaltete, wurde er gefragt, ob die Türkei nun ihrerseits Kriegsschiffe an die israelische Küste beordern würde. Arinc verneinte das zwar. Ankara werde aber den Botschafter aus Jerusalem abberufen, mehrere Militärabkommen mit Israel kündigen und eine Dringlichkeitssitzung des UN-Sicherheitsrates verlangen.

Türkisches Fernsehen berichtet den ganzen Tag

Das türkische Außenministerium hatte die israelische Aktion bereits zuvor in scharfen Formulierungen verurteilt und von „irreparablen Schäden“ im Verhältnis beider Länder gesprochen. Auch Griechenland, von wo ebenfalls eins der sechs Schiffe gestartet war, hat ein gerade stattfindendes gemeinsames Luftwaffenmanöver mit Israel sofort abgebrochen. Die politischen Folgen für Israel dürften verheerend sein. Während der iranische Präsident Ahmadinedschad triumphierend verkündet, Gaza würde zum Grab für Israel werden, hat die israelische Regierung ihre Bürger offiziell aufgefordert, nicht mehr in die Türkei zu reisen, immerhin dem einzigen muslimischen Land, mit dem es Jahrzehnte verbündet war. Sämtliche türkischen Fernsehkanäle, auch die, die normalerweise nur Seifenopern senden, waren gestern den ganzen Tag über live dabei. Auch wenn die demonstrierenden Islamisten für die Mehrheit der Bevölkerung nicht repräsentativ sind und es in einigen Internetforen auch Kritik an dem provokativen Charakter der Hilfsaktion gab, der 31. Mai 2010 dürfte im Rückblick für das Ende der türkisch-israelischen Freundschaft stehen.

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