Detroit beginnt mit dem Abriss


Die einstige Hauptstadt der US-Automobilindustrie will gesundschrumpfen. Insgesamt 10000 leerstehende Gebäude sollen abgerissen werden, um die Kosten der Stadt zu senken. Kritiker werfen der Stadt vor, kein Konzept für die Nutzung der freiwerdenden Flächen zu haben.

Von John Dyer, Boston

Autos haben Detroit gemacht. Nun sollen Bulldozer die Stadt retten. Die Stadtverwaltung hat beschlossen, Teile der Stadt abzureissen. „Wir haben zu viel bebaute Fläche, die uns zuviel kostet“, sagt Bürgermeister David Bing, ein ehemaliger Basketballspieler. „Wenn wir nicht beginnen abzureissen, dann wird die Stadt verfallen.“

Die Bevölkerung schrumpft

Der Verfall hat bereits begonnen. Die leerstehenden Häuser nehmen bereits fast ein Drittel der 224 Quadratkilometer Stadtfläche ein. Die Leerstandsrate hat sich seit dem Jahr 2000 verdreifacht. Mit der Volkszählung von 2010 werden neue schlechte Zahlen erwartet. In der Hochzeit der US-Autoindustrie in den 50er Jahren lebten hier zwei Millionen Menschen. Im Jahr 2000 waren es noch 800000. Seither dürften 160000 Menschen die Stadt verlassen haben. Der Niedergang der US-Autoindustrie ist auch ein Niedergang Detroits. Die neuen Hersteller – Toyota, aber auch Volkswagen, Mercedes und BMW – produzieren anderswo. Und selbst zwei der grossen Drei werden von anderswo gelenkt, Chrysler vom italienischen Fiat, General Motors von der US-Regierung. Nur Ford hat es bisher allein durch die Krise geschafft. Doch alle drei produzieren weniger Autos, und dabei dürfte es bleiben. Wer in Detroit bleibt, hat oft keine Zukunft mehr. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 15 Prozent, mehr als 5 Prozent über dem Landesdurchschnitt.

Stadt muss massiv sparen

Ich vermisse nichts, seit ich Detroit verlassen habe“, sagt die 38jährige Theresa Johnson. Die alleinstehende afroamerikanische Mutter ist vergangenes Jahr in den Vorort Eastpointe gezogen. Die Kriminalität habe sie verjagt. Sie hatte Angst, dass ihr Sohn in einen der Schusswechsel geraten könnte. „Ich habe mein ganzes Leben in Detroit gelebt. Aber ich konnte nicht ertragen, was mit der Stadt passiert ist.“

Weil viele Einwohner Detroits so denken, sehen die Politiker keine andere Wahl. Sie müssen allein in diesem Jahr ein Defizit von 124 Millionen Dollar (100 Millionen Euro/137 Millionen Franken) decken. „Wir müssen die Polizei in die leerstehenden Viertel schicken, müssen Feuer löschen, die Strassen beleuchten, Wasser pumpen, Schnee schaufeln“, sagt Charles Pugh, Präsident des Stadtrates. „Das ist wirklich ineffizient.“

Die Stadt will 10000 leerstehende Gebäude niederreissen, ein Drittel davon bereits dieses Jahr. Bisher sind bereits 1000 Gebäude abgerissen. Die US-Regierung unterstützt das Programm. Sie stellt dafür 40 Millionen Dollar zur Verfügung. Das war die grösste Bundessubvention für Detroit nach der Rettung der beiden Automobilkonzerne General Motors und Chrysler.

Verdichten statt abreissen?

Kritiker weisen darauf hin, dass die Stadtverwaltung keinen Plan habe, was sie mit dem leeren Gelände machen will. „Die Leute haben das nicht bis zu Ende gedacht“, sagt Kurt Metzger, Direktor der Denkfabrik Data Driven Detroit. „Niemand gibt hier eine Richtung vor.“ Auch interessierten sich keine grossen Unternehmen für Detroit, der Regierung fehle das Geld für einen Wiederaufbau.

Andere Beobachter haben angeregt, die Bebauung zu verdichten und dafür Parks zwischen den Vierteln einzurichten. Das würde Immobilienentwickler anziehen, ohne die Ressourcen der Stadt zu belasten. „Es geht darum, unsere Flächennutzung zu reorganisieren, um die Stadt lebenswerter zu machen“, sagt Tom Goddeeris. „Ich weiss nicht, ob das jemals in diesem Ausmass gemacht worden ist, aber wir müssen irgendwo beginnen.“

Pittsburgh hat es vorgemacht

Befürworter des Abrissplanes verweisen auf Pittsburgh. Die Stadt hatte nach dem Niedergang der Stahlindustrie in den 80er Jahren ebenfalls die Abrissbirne zu Hilfe gerufen. Dabei wurden riesige Stahlwerke und ganze Arbeitersiedlungen abgeräumt. Dafür wurde in Museen und Bildungseinrichtungen investiert. Die Stadt wurde zu einem Zentrum für weite Landstriche entwickelt, die Teile der umliegenden Bundesstaaten umfassen. Heute scheinen sich die Anstrengungen auszuzahlen. Sichtbar wurde dies mit dem G20-Gipfel, der vergangenes Jahr in Pittsburgh stattfand. Von der Volkszählung 2010 erwarten sich die Stadtbehörden Pittsburghs einen leichten Anstieg der Bevölkerung – erstmals seit zwei Jahrzehnten.

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