Italien, ein Anti-Berlusconi-Sturm fegt durchs Land


Erst zwei Wochen sind es her, seit Berlusconi in Neapel vor sein Publikum trat und fröhlich einen Macho-Witz erzählte. Der Witz geht so:

„Ich befinde mich auf dem Flug nach Neapel. Da sehe ich vor mir eine wunderschöne blonde Frau. Zum Glück ist der Sitz neben ihr leer. Ich setze mich zu ihr, doch die Frau liest. Ich frage: ‚Signorina, was lesen sie so intensiv? Wovon handelt das Buch, von Liebe?‘ Sie antwortet: ‚Ja, es ist ein Buch, das mich lehrt, dass die Araber die sexuell potentesten Männer sind, doch die Neapolitaner sind die stärksten und romantischsten.‘” Schon klatscht sein Publikum, doch jetzt kommt die Pointe:

Berlusconi sagt: ‚Signorina, darf ich mich vorstellen, ich heisse Mohammed Esposito‘“. (Esposito ist einer der häufigsten Geschlechtsnamen in Neapel). Jetzt jaulen seine Anhänger vor Begeisterung.

Das war kurz vor dem ersten Durchgang dieser italienischen Kommunalwahlen. Selbstsicher und unbefangen wie immer war Berlusconi vor seine Zuhörer getreten. Er scherzte, verspottete und verhöhnte seine Gegner – wie immer. Wieder einmal war er sich seiner Sache sicher. Wie immer.

Er hat es ja immer geschafft, er hat ja alles überlebt: Seine Anklagen, seine Prozesse, die Verurteilungen, den Putsch von Fini, seine Lügen, seine leeren Versprechen, die Orgien in seiner Villa auf Sizilien, seine Verleumdungen der Justiz und des Staatspräsidenten, Bunga Bunga, Ruby… e così via.

Berlusconi – entgleist

So ging denn der potent-romantische Mohammed Esposito in diese Kommunalwahlen, die er selbst zum nationalen Test erhoben hatte.

Und plötzlich – vor genau zwei Wochen – riss er keine Witze mehr. Die Lust dazu war ihm vergangen.

Berlusconi war entgleist. Und das ausgerechnet in seiner Heimatstadt, der Wirtschaftsmetropole Mailand. Das Ergebnis, das hier seine Kandidatin und seine Partei erzielten, war eine saftige Demütigung. Laut Zeitungsberichten hatte er an diesem Abend völlig die contenence verloren. Er tobte, stampfte und fauchte.

Zwanzig Jahre lang hatte die Rechte im konservativen Mailand regiert und das Bürgermeisteramt besetzt – zuletzt mit Letizia Moratti, die im politischen Stall von Berlusconi gross geworden war. Fünf Jahre lang war sie Bürgermeisterin. Um sofort wiedergewählt zu werden, hätte sie im ersten Wahlgang das absolute Mehr der Stimmen erreichen müssen. Berlusconi war zuversichtlich, dass dieser Coup gelingen würde.

Wenn in Mailand der Wind dreht, dreht er überall

Dann kam der Schock. Frau Moratti liess sich im ersten Wahlgang regelrecht an die Wand nageln. Sie erzielte desaströse 41,6 Prozent der Stimmen und verfehlte damit die absolute Mehrheit bei weitem. Schlimmer noch: sie liess sich von einem Kandidaten überrunden, den selbst die Linke als zu links betrachtete: Giuliano Pisapia, ein Anwalt. Er war früher Mitglied der kommunistischen „Rifondazione“. Er, der Aussenseiter, verfehlte mit stolzen 48 Prozent das absolute Mehr nur knapp.

Mailand ist die wichtigste Stadt in Italien, viel wichtiger als Rom. Mailand ist der Motor des Landes, nicht nur in wirtschaftlicher Hinsicht. Mailand ist auch politischer und geistiger Wegbereiter. Hier wird die Musik komponiert, die früher oder später das ganze Land mitsingt. Die Metropole im Norden ist ein politischer Barometer. Wenn hier der Wind dreht, dreht er meist im ganzen Land.

“Mailand wird Stalingrad“

Berlusconi weiss, wie wichtig Mailand ist. Deshalb auch seine explosionsartige, aggressive Reaktion auf die Niederlage vor zwei Wochen. „Jetzt erst recht“, sagte er sich. Und jetzt entgleiste er vollends. Für den entscheidenden zweiten Wahlgang mobilisierte er seine ganze Wut, seinen ganzen Hass. Wie ein wildes Tier, das verletzt ist, stieg er in die Wahlkampfarena. Die Linke wolle Mailand in eine „islamische Zigeunerstadt“ verwandeln. Die Linke wolle aus Mailand ein „Stalingrad“ machen.

Seinem Koalitionspartner Umberto Bossi von der Lega Nord unterstellte er, auf den Sturz der Berlusconi-Regierung hinzuarbeiten. In einer vertraulichen Sitzung seiner Partei bezeichnete er Letizia Moratti als „schwache Kandidatin“. Die linken Wähler seien „Lakaien ohne Hirn“.

Plötzlich trat er an einem einzigen Abend in fünf Fernsehsendern auf: in seinen eigenen und in der öffentlich-rechtlichen RAI. Weil er damit das Gleichheitsprinzip verletzte, muss er eine Busse von 200‘000 Euro zahlen. Zynisch sagte er: Dann müssen eben die Konzessionszahler der RAI diese Busse zahlen.

Genug von seinen Vulgaritäten

Doch alles nützte nichts. Die Mailänderinnen und Mailänder hatten genug von Berlusconis Skandalen und Eskapaden, genug von seinen Vulgaritäten: genug von einem Regierungschef, der sich nur um sich kümmert und dem das Land egal ist. Genug auch davon, dass dieser Ministerpräsident das stolze Italien der internationalen Lächerlichkeit preisgibt.

Eine Minute, nachdem am Montag um 15.00 Uhr die Urnen geschlossen wurden, veröffentlichte “Sky News Italia” eine erste Hochrechnung. Sie kam für Berlusconi einer politischen Katastrophe gleich: Der Ministerpräsident verliert nicht nur Mailand, sondern auch Neapel. Dort am Vesuv hatte niemand, aber wirklich niemand, am Sieg des Berlusconi-Kandidaten gezweifelt.

Sowohl in Mailand als auch in Neapel war das Verdikt klar: In Mailand gewann Pisapia 55 Prozent der Stimmen. In Neapel siegte der Kandidat der Anti-Berlusconi-Partei „Italien der Werte“ (Italia dei valori, Idv) mit 65 Prozent.

Es gibt nichts zu rütteln: Zum ersten Mal hat ihm das Volk in wichtigen Teilen des Landes die Legitimität zum Regieren abgesprochen.

Die Linke hat noch wenig Grund zum Jubeln

Der Sieg Pisapias in Mailand ist vor allem ein Votum gegen Berlusconi. Doch auf nationaler Ebene hat der linke Partito Democratico (PD), die grösste Oppositionsbewegung in Italien, noch kaum Grund zum Jubeln. In den nationalen Meinungsumfragen profitiert der (PD) kaum vom Niedergang Berlusconis. Die Linke ist nach wie vor zerstritten; es fehlen charismatische Köpfe. Ironie des Sieges: Pisapia war keineswegs der Wunschkandidat der PD. Ihr Chef, Pierluigi Bersani, hätte einen gemässigteren Kandidaten vorgezogen. Und in Neapel konnte sich die PD nicht einmal auf einen Kandidaten einigen. So sprang denn der Idv-Kandidat Luigi de Magristris in die Bresche – damals ohne jede Hoffnung auf Erfolg.

Nicht genug: Die Linke gewinnt auch in Cagliari auf Sardinien, in Triest und in Novara. Ein eigentlicher Anti-Berlusconi-Sturm fegt durchs Land.

Seine Zeit geht zu Ende

Natürlich wird Berlusconi nicht morgen zurücktreten. Natürlich wird er jetzt sagen, die Niederlage habe keinen Einfluss auf die nationale Politik. Auch ein sofortiger Sturz ist eher unwahrscheinlich. Zu viele Interessen stehen auf dem Spiel.

Die Parlamentarier der Berlusconi-Partei beziehen so viele Diäten wie niemand in Europa. Sie haben kein Interesse an einem schnellen Sturz Berlusconis und an vorgezogenen Neuwahlen. Denn solche Wahlen bergen die Gefahr in sich, dass man nicht wiedergewählt wird, und dass man seine Diäten verliert. Also lieber noch ausharren bis zum nächsten offiziellen Wahltermin in zwei Jahren. So können die Abgeordneten wenigstens während zwei weiterer Jahre noch in Saus und Braus leben.

Die Lega Nord von Umberto Bossi ist in einer Zwickmühle. Einerseits weiss sie, dass sie nur mit einem schwachen Berlusconi ihr Hauptziel einer Regionalisierung und einer Steuerreform durchbringen kann. Anderseits verliert sie, wie jetzt in Novara das Bürgermeisteramt. Bossi hat schon am Montagabend Berlusconi und seine Skandale dafür verantwortlich gemacht.

Auch die Linke kann kein Interesse an schnellen Neuwahlen haben. Sie hofft jetzt, dass ihr der Anti-Berlusconi-Sturm endlich wieder Mut und Auftrieb gibt.

Wahrscheinlich wird sich Berlusconi noch etwas an die Macht klammern können. Doch die Niederlage wird mit Sicherheit den Zerfallsprozess seiner ohnehin maroden Regierung beschleunigen. Auch in Italien verlässt eine Mannschaft ein sinkendes Schiff. Plötzlich ist Berlusconi nicht mehr der strahlende Sieger, plötzlich haftet ihm das Etikett des Verlierers an.

Article paru dans “Journal21

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