Chinas Arbeiter werden unruhig: Die Selbstmorde beim Apple-Zulieferer Foxconn sind ein Warnsignal. Chinas einst billige Arbeiter wollen sich nicht mehr so wie bisher ausbeuten lassen. Foxconn ist nur die Spitze des Eisbergs.
Von Georg Ackermann, Singapur
Arbeiter Chen war gerade einmal zwei Monate beim Elektronikkonzern Foxconn in Shenzhen beschäftigt. Am Donnerstag schnitt sich der 25-Jährige aus der zentralen Hunan-Provinz die Venen auf. Chen überlebte. Ein 23-jähriger Kollege aus der nordwestlichen Gansu-Provinz starb dagegen tags zuvor, nachdem er sich vom Balkon seines Schlafraumes gestürzt hatte. Es ist der zehnte Selbstmord in diesem Jahr beim Auftragsfertiger für Apple in der südlichen Guangdong-Provinz. Medienvertreter aus aller Welt belagern seitdem das Firmengelände.
US-Auftraggeber fürchten um ihren Ruf
Das amerikanische Unternehmen Apple ist besorgt. Und mit dem Elektronikriesen auch Nokia, Hewlett Packard, Motorola und Dell. Sie alle nehmen die Dienste von Foxconn in Anspruch. Die Ausbeutung von mittellosen Arbeitern bis hin zum Freitod kann ganz schnell zu tiefen Kratzern am strahlenden Image dieser Prädikatsmarken führen. „Wir sind traurig und entsetzt über die Selbstmorde bei Foxconn”, heißt es in einer offiziellen Stellungnahme Apples, das in Shenzen iPhones herstellen lässt. Man werde unabhängige Prüfungen durchführen lassen, um zu sehen, welche Maßnahmen Foxconn nun einleite. Dell macht seinerseits deutlich, dass es von seinen Zulieferern dieselben hohen Standards erwarte wie in den eigenen Fabriken.
„Ich bin sehr besorgt und kann nachts nicht mehr schlafen“, sagt Firmenchef Terry Gou. „Ich weiß nicht, ob wir das in jedem Einzelfall verhindern können.“ Er verspricht die Ausbildung von eintausend psychologischen Beratern, die bei emotionalen Problemen helfen sollen. „Als verantwortungsvoller Arbeitgeber sind wir dazu verpflichtet, so viele wie möglich zu verhindern.“
Eine Fabrik – eine Stadt – ein Arbeitslager
Die Riesen-Fabrik, die insgesamt 420.000 Menschen beschäftigt, ähnelt fast einer kleinen Stadt. Gou weist auf die Annehmlichkeiten hin. Mit Bäumen gesäumte Strassen, Bäckereien, Banken und ein großes Schwimmbad stehen den Arbeitern zur Verfügung. Verschiedene Sozialprogramme und neue Schlafgebäude mache die Firma bei den Wanderarbeitern sogar besonders beliebt, wie die Zeitung China Daily zu wissen scheint.
Die Kehrseite der Medaille: Arbeitervertreter beschweren sich über lange Schichten und schnell laufende Fliessbänder. Die Tore zur Stadt sind fest verschlossen und von uniformiertem Sicherheitspersonal bewacht. Ehemalige Polizeioffiziere sind für die Aufsicht der frisch rekrutierten Arbeiter zuständig und werden dazu angehalten, diejenigen zu bestrafen, die während der Ausbildung schlafen oder miteinander schwatzen.
Eintritt ist teuer
Die Neuankömmlinge sind meist vom Land stammende Männer im Alter von 17 bis 24 Jahren ohne Schulabschluss. Bevor sich ihnen die Tore der Stadt öffnen, müssen sie erst einmal einen „Agenten“ finden, der für 300 Yuan (rund 35 Euro) den Kontakt mit der Personalabteilung der Firma herstellt. Für einen kleinen Aufpreis gibt es auch noch ein gefälschtes Diplom dazu. Der Eingangstest bei Foxconn kostet dann noch mal 50 Yuan. Wer diese Kosten erstmal aufgebracht hat und es bis in die Stadt geschafft hat, überlegt sich zweimal, ob den Job gleich wieder aufgeben will, heißt es.
Experten sehen ähnliche Probleme bei anderen Massenfertigern der Provinz. „Die neuen Generationen der Wanderarbeiter bekommen im Verhältnis deutlich weniger als ihre Vorfahren“, sagt Liu Kaiming, Leiter eines ortsansässigen Forschungsinstituts. Beim Automobilproduzenten Honda haben die Gewerkschafter die Gunst der Stunde genutzt und einen Streik ausgerufen. Internationale Firmen bezahlen in der Regel bessere Löhne. Die Arbeiter dort verdienen im Schnitt 1500 Yuan (177 Euro) im Monat und verlangen eine Erhöhung auf 2000 bis 2500 Yuan. Der typische Lohn bei Foxconn liegt bei lediglich 900 Yuan.
Landesweit hohe Selbstmordrate
Das Wohlstandsgefälle in China wächst weiter und damit auch der Druck auf die ärmeren Bevölkerungsschichten. Nach Angaben der Polizei hatte Nan Gang, das achte Selbstmordopfer, Spielschulden und wurde von seiner Freundin verlassen. „Ihre Eltern stammen aus ländlichen Gegenden, aber viele der jüngeren Arbeiter wurden in den Städten geboren und haben kein Farmland mehr. Sie haben große Träume vom Stadtleben und finden heraus, dass diese Träume nie wahr werden können“, sagt Lu Huilin von der Universität Peking.
Und Patrick Mattimore vom Institut für analytischen Journalismus stellt fest, dass die Weltgesundheitsorganisation WHO Chinas Selbstmordrate mit 14 pro 100.000 Einwohner beziffert. Damit liegt Foxconn noch deutlich unter dem Landesdurchschnitt. Der Traum von einer harmonischen Gesellschaft könnte für China bald zu einem Albtraum werden.