Medwedew demontiert Luschkow


Seit dem Ende der Sowjetunion regiert Juri Luschkow Moskau als Bürgermeister. Lange war er einer der mächtigsten Männer Russlands. Doch nun geht seine Zeit zu Ende. Präsident Medwedew und Ministerpräsident Putin scheinen sich darauf geeinigt zu haben.

Von Axel Eichholz, Moskau

Der Moskauer Oberbürgermeister Juri Luschkow hat sich öffentlich mit Präsident Dmitri Medwedew angelegt. Der Moskauer Stadtchef, der bisher als unantastbar galt, bekam vom Kreml den „Schwarzen Fleck“. Der dem Staatskonzern Gasprom gehörende Fernsehsender NTW brachte am Freitagabend einen Enthüllungsfilm über den Mann mit der kleinen Glatze und dem ewigen Ledermützchen drauf. „Der Fall Mütze“ konzentrierte sich auf drei Vorwürfe. Während Moskauer Bürger im vergangenen August im Qualm der Torfbrände erstickten, machte Luschkow Urlaub in Tiroler Alpen, wo alles schön sei: „Kühe mit Glöckchen und Dirnen mit großen Titten“, sagte der Moderator. Für diese Rolle wurde der Starjournalist Sergej Dorenko eingeladen, der schon 1999 als Rufmörder gegen die Hauptrivalen des Präsidentschaftskandidaten Wladimir Putin, Luschkow und Jewgeni Primakow, angetreten war.

Ehefrau als Achillesferse

Es blieb nicht bei dieser Anspielung auf Luschkows Vorstellungen von der weiblichen Schönheit. Auch seine Gattin Jelena Baturina kam in dem Film voll auf ihre Kosten. Die einzige Milliardärin Russlands verdanke ihren Reichtum dem eigenen Mann, hieß es. Die Beteuerung Luschkows, er habe mit den Geschäften seiner Frau nichts zu tun, wurde mit der gesetzlichen Festlegung entkräftet, wonach in einer Ehe erworbenes Kapital zu gleichen Teilen beiden Partnern gehört. Auch habe Baturinas Firma Inteco im vorigen Jahr eine Milliarde Dollar Gewinn erzielt, während alle anderen Bauunternehmen schwer unter Krisenfolgen zu leiden hatten, hieß es weiter. Ein besonders empfindlicher Punkt war der Autobahnbau durch den Moskau nahen Chimki-Wald, gegen den es heftige Proteste gab. Luschkow lehne die alternative Straßenführung am Wald vorbei ab, weil die Autobahn dann ein riesiges, seiner Frau gehörendes Baugelände in zwei Stücke reißen würde, so der Film.

Keil zwischen Putin und Medwedew

Der Autobahnbau war der unmittelbare Anlass für die neueste Konfrontationsrunde gewesen. In einem von der regierungsamtlichen „Rossijskaja Gaseta“ Anfang September veröffentlichten Artikel kritisierte der Moskauer Stadtchef Medwedews Entscheidung, den Autobahnbau bis zum Abschluss einer öffentlichen Diskussion darüber auszusetzen. Alternative Bauprojekte tat Luschkow als „Hirngespinste“ ab. Dagegen lobte der Verfasser die „ausgewogene“ Haltung des Regierungschefs Wladimir Putin, der die Straßenführung durch den Wald unterstütze. Daraufhin erklärte ein nicht genannter „hoher Mitarbeiter“ des russischen Präsidialamts der Nachrchtenagentur Interfax, Luschkow versuche, „einen Keil zwischen den Präsidenten und den Regierungschef zu treiben“, was nicht ungestraft bleiben werde. Die Landesführung sei einheitlich wie noch nie.

Kreml drängt auf Rücktritt

Am vergangenen Mittwoch wurde Medwedew auf dem Weltwirtschaftsforum in Jaroslawl nach Luschkows Haltung gefragt. „Soll ich dem Moskauer Oberbürgermeister Grüße übermitteln lassen?“, fragte der Präsident zurück. Unzufriedene gebe es immer. Wenn aber Beamte unzufrieden seien, müssen sie „Konsequenzen ziehen“. Vertreter der Staatsmacht müssen entweder mitmachen oder in die Opposition gehen, so Medwedew.

Die Demontage geht noch weiter. Luschkow habe keine Chance, für eine weitere Amtszeit nominiert zu werden, sagte der für die Innenpolitik zuständige Vizechef des Präsidialamts Wladislaw Surkow vor einer Woche vor ausgewählten Journalisten. Ein Beamter, der über 70 sei und vier Amtszeiten hinter sich habe, komme dafür nicht in Frage. Luschkow wird am 21. September 74. Jetzt geht es nur noch darum, ob er seinen Hut (oder sein Mützchen) nicht schon vorher nehmen muss. Er selbst hat bereits erklärt, er sehe nicht ein, wieso er vor Juni 2011 gehen sollte.

Rücktritt voraussichtlich im Dezember

Luschkow sei nicht nur vom NTW-Fernsehen, sondern auch auf der Webseite der Regierungspartei Einiges Russland angegriffen worden, sagt der Politologe Mark Urnow. Also hätten sich Putin und Medwedew auf dessen Rücktritt geeinigt. Er werde schon vor Ende seiner letzten Amtszeit gehen müssen. Nach Expertenschätzungen wird es im kommenden Dezember geschehen. Dann hätte Luschkows Nachfolger noch Zeit, sich bis zum Beginn des Duma- und Präsidentschaftswahlkampfes einzuarbeiten. Im Frühjahr hätte der vorgezogene Rücktritt keinen Sinn mehr.

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