Korruption im Musterstaat


Das einstige Volksheim Schweden wird von Skandalen erschüttert. Die schwedische Polizei hat die Gründung einer Spezialeinheit zur Korruptionsbekämpfung bekanntgegeben. Im sozialdemokratisch geprägten Land sind Korruption, eine Kultur der Bestechlichkeit und Machtmissbrauch der Elite bisher unter den Teppich gekehrt worden.

Von André Anwar, Stockholm

Eva Gabrielsson hat es geahnt: „Schweden ist nicht so schön, wie viele meinen“, sagte Lebensgefährtin und Koautorin des verstorbenen Krimiautors Stieg Larsson dieser Zeitung. „Da wird viel unter die Matte gekehrt. Da gibt es Korruption. Und da gibt es Behörden, die Gewalt ausüben. Und niemanden, der das kritisiert.“

Illegale Hausdurchsuchungen

Sie scheint recht zu haben: Das skandinavische Musterland erscheint dieser Tage als Sündenpfuhl. Hohe Amtsträger suchen die illegale Bordell auf. Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft grassieren unter Politkern, Beamten und Diplomaten.

Die Skandale reichen bis ins Königshaus. Da sind die jungen Mädchen aus den Vororten von Stockholm, die der König und seine Herrenclique in der kriminellen Unterwelt zum Beischlaf „überredeten“. Da gibt es Zuhälter und die staatliche Geheimpolizei, die ihre Macht rücksichtslos ausübten. Sie schüchterte die Mädchen ein und führte illegale Hausdurchsuchungen durch, um Beweise verschwinden zu lassen. Die Medien wollten entweder nicht oder trauten sich nicht, selbst über offensichtliche Auswüchse zu berichten.

Daran ändert sich bisher nichts: Auch wenn Thomas Sjöberg in seiner Biografie „Der widerwillige Monarch“ die Schattenseiten von Carl Gustaf aufgezeigt hat, will die Öffentlichkeit möglichst wenig darüber wissen. Der Tenor in den erstaunlich gleichklingenden Medien: das sei alles lange her, der menschliche Makel mache das Königshaus attraktiv. Einer Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die  der Königsbiografie mitgearbeitet hat, wurde sogar gekündigt.

Steuern in private Taschen geleitet

Der Fisch stinkt nicht nur am Kopf. Auch die Steuerbehörden, die lange einen tadellosen Ruf haben, sind von der Fäulnis angesteckt. Ein Mitarbeiter des Finanzamts Stockholm hat den schwedischen Steuerzahler um mindestens 120 Millionen Kronen (12 Millionen Euro/16 Millionen Franken) betrogen. Der heute 42-Jährige hatte mit mindestens drei Mitangeklagten auf dem Papier ein Unternehmen gegründet. Über falsche Rechnungen genehmigte er dieser Firma Umsatzsteuerrückzahlungen in Millionenhöhe. „Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn wegen irgendetwas zu verdächtigen. Er war schon so lange im Dienst“, sagt ein Ermittler.

In der betroffenen Abteilung musste bereits 2004 ein Beamter gehen, auch ihm warf man die Gründung einer Scheinfirma vor. Doch damals sprach ihn ein Gericht frei, obwohl bereits mehrere Millionen Kronen auf sein Konto geflossen waren. Auch damals interessierten sich die Medien im Hochsteuerland Schweden nicht für den Fall.

Vetternwirtschaft unter Mächtigen

Schweden gleicht erschreckend dem Land, das Stieg Larsson in seinen Büchern beschrieben hat: Engagierte, zumeist junge Menschen werden ins Abseits gestellt und verfolgt, abweichende Meinungen kaum geduldet. Es herrscht ein System, in dem die Mächtigen einander den Rücken kraulen. Freundschaftsdienste, anderswo Vetternwirtschaft genannt, waren an der Tagesordnung. Nur hat niemand darüber gesprochen. Nun kommen sie allmählich ans Licht.

Die Reichspolizei reagiert nun: Am Freitag kündigte sie an, eine „nationale Spezialeinheit gegen Bestechungsverbrechen“ zu gründen. 30 Beamte sollen abgestellt werden. Seine Wirkung dürfte es nicht verfehlen. Aber es wird Zeit brauchen, bis schwedische Bürger – und die Medien – ihrem Staat gegenüber etwas kritischer werden. Zu lange glaubte man, dass sich Vertrauen vor Kontrolle auszahlen würde.

Die Kriminalromane von Larsson und anderen schwedischen Autoren schienen Fantasieprodukte einer saturierten Gesellschaft zu sein. Eine Art psychischer Blitzableiter, kein realistischer Spiegel. Eine Täuschung. Schwedische Krimis sind so dunkel, weil sie tief in der Wirklichkeit wurzeln.

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