Buch ohne Autor


Pawel Chodorkowski hat in Berlin das politische Manifest seines Vaters Michail Chodorkowski vorgestellt. Er geht davon aus, dass Russlands starker Mann Putin den Ex-Oligarchen mundtot machen wollte. Er habe den Kreml zu stark kritisiert.

Von Roland Mischke, Berlin

Auf einmal wird es menschlich. „Ich will meinen Vater zurück“, sagt Pawel Chodorkowski. „Ich weiß nicht einmal, wo er gerade ist. Wahrscheinlich nach dem Prozess in Moskau wieder auf dem Weg in ein Lager nach Sibirien.“ Das Moskauer Stadtgericht hat den Berufungsantrag der früheren Chefs der Ölgesellschaft Yukos, Michail Chodorkowski und Platon Lebedew, auf Aufhebung ihrer Verurteilung wegen angeblicher Unterschlagung und Geldwäsche vom Dezember 2010 abgewiesen. Die Haftstrafe wurde lediglich um ein Jahr auf 13 Jahre abgesenkt. „Ich weiß auch nicht, in welches Lager mein Vater nun gebracht wird“, so Sohn Pawel. „Die Familie erhält irgendwann eine Mitteilung vom Lagerkommandanten.“

Großvater kennt den Enkel nicht

Gemeinsam mit seiner Frau ist der 26-Jährige aus New York nach Berlin gekommen. Er arbeitet als IT-Manager und so sieht er auch aus. Maßanzug, beherrschtes Auftreten. Doch das smarte Business-Korsett kann den Gefühlsausbruch nicht zurückhalten. Der Sohn hat den Vater seit siebeneinhalb Jahren nicht gesehen, weiß aber, dass er im Lager Messerangriffe von Mithäftlingen und Hungerstreiks überlebt hat. Er hat ihn inzwischen zum Großvater gemacht, darf aber mit seiner kleinen Familie nicht nach Moskau zur Großfamilie reisen. Sein Vater bat ihn beim letzten Gespräch dringlich, es nicht zu tun. „Ich habe auch Angst um meine Schwester Anastasia“, sagt er. Die 20-Jährige studiert in Moskau, es gibt Anfeindungen, der Bruder geht darauf nicht ein.

Putin will ihn mundtot machen

Gerade noch hatte Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) über den russischen „Rechtsnihilismus“ referiert, die „Telefonjustiz“ beklagt, die „nicht nur straft, sondern auch noch demütigen will“. Gerade noch hatte „Spiegel“-Autor Erich Follath – der einzige Journalist, der 2003 und 2005 mit Chodorkowski mehrfach sprechen konnte – die Ministerin gefragt, was deutsche Regierung und Europäischer Gerichtshof tun würden, um die russische Regierung zu einem Gnadenerlass zu bringen. Es wird viel geredet, aber wenig gesagt im Maxim-Gorki-Theater in Berlin an einem strahlenden Frühsommertag. Nur einer spricht Klartext. „Für Putin war mein Vater gefährlich“, so Pawel Chodorkowski. „Er wollte ihn mundtot machen.“ In Russland gilt Chodorkowski als persönlicher Gefangener Wladimir Putins. Weil er im Kreml Themen ansprach, die für ihn als Patriot wichtig waren: Bekämpfung von Korruption und Rechtsunsicherheit, Menschenrechte, Stärkung der Zivilgesellschaft, wirtschaftliche Entwicklung, die Modernisierung Russlands. Setzt er Hoffnungen auf Präsident Medwedjew, der als Jurist im Fall Chodorkowski eine andere Haltung als Putin einnimmt? Der Sohn braucht für die Antwort nur einen Satz: „Medwedjews Reden folgten keine Taten.“

Hoffen auf die Geschichte

In Berlin wird ein Buch ohne Autor vorgestellt. „Briefe aus dem Gefängnis“ (Knaus, 288 S., 19,99 Euro) erscheint zuerst in Deutschland, später in anderen Sprachen. Es besteht aus Briefen, die Chodorkowski in seiner über siebenjährigen Haft mit Schriftstellern wie Ljudmila Ulitzkaja und Boris Akunin wechselte, und Essays des Autors zu politischen Themen. Erschütternd sind die Schilderungen der persönlichen Erfahrungen im Moskauer Gefängnis und in der sibirischen Strafkolonie. Chodorkowski bringt auch seinen Schmerz darüber zum Ausdruck, dass er seit Jahren zu Frau, Kindern und Eltern keinen Kontakt aufnehmen darf. Im Gerichtssaal befand er sich in einem Käfig mit Eisenstäben, zur Familie gab es nur Blickkontakte. Dennoch erscheint der frühere Oligarch ungebrochen. In der Bevölkerung werden ihm, der als Profiteur der Wende zum Milliardär wurde, immer mehr Sympathien zuteil. „Die Geschichte wird mich freisprechen“, sagte er vor Gericht.

Wie der Sohn bevorzugt auch der Vater Klartext. „Die autoritären Mächte wollen an mir ein Exempel statuieren, um euch alle zu ängstigen“, schreibt er. Der Ton des Buches ist aber nicht radikal, eher wehmütig. „Ich schäme mich für mein Land“, heißt es. 2016 könnte Michail Chodorkowski aus der Haft entlassen werden, dann wird er 54 Jahre alt sein. Wird er in die Politik gehen oder ins Ausland, wird sein Sohn gefragt. Der weiß es nicht. „Ich glaube beides nicht“, sagt Pawel Chodorkowski. „Ich hätte ihn gern bei mir, aber als Patriot wird er Russland nicht verlassen wollen.“ Dann flattern noch mal seine Wimpern, als er nachschiebt: „Ich vermisse ihn.“

 

 

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