Zitterpartie im Parlament


Klimaschutz liegt im Interesse der Schweiz, sagt Roger Nordmann. Damit können Energiekosten gespart, die Sicherheit des Landes erhöht und Arbeitsplätze geschaffen werden. Wenn ab Montag der Nationalrat über das CO2-Gesetz berät, entscheidet er indirekt auch darüber, ob das Volk über die Klimainitiative abstimmen wird.

Interview: Steffen Klatt

Ab Montag berät der Nationalrat wieder über das CO2-Gesetz. Was sind die wichtigsten umstrittenen Punkte?

Roger Nordmann: Wir haben ein Bekenntnis zu einem starken Reduktionsziel für den CO2-Ausstoss um 20 Prozent bis 2020 erreicht. Dieses Ziel kann auch noch verstärkt werden, wenn es zu einem internationalen Abkommen kommt. Das ist sehr positiv. Es ist auch sehr positiv, dass die CO2-Abgabe auf Brennstoffe erhöht werden kann. Aus meiner Sicht ist es aber sehr negativ, dass es uns nicht gelungen ist, den durchschnittlichen CO2-Ausstoss von Neuwagen im Gleichschritt mit der EU zu begrenzen. Wenn der durchschnittliche Ausstoss in der EU nur noch auf 130 Gramm pro Kilometer betragen wird, werden unsere Neuwagen noch 150 Gramm ausstossen, jedenfalls aus der Sicht der Mehrheit. Auch der Wegfall der CO2-Abgabe auf Treibstoffe ist eindeutig ein Rückschlag. Der Ausgang ist aber noch offen. In der Kommission fiel die Abstimmung oft 13:13 mit dem Stichentscheid des Präsidenten aus. Das wird zu einer Zitterpartie.

Ist es denkbar, dass der Nationalrat das Reduktionsziel noch auf 30 Prozent anhebt, wie es die Klimainitiative verlangt?

Nordmann: Das wäre wünschbar. Es ist aber kaum realistisch. Das hat aber auch mit dem Kompromiss zu tun, dass im Falle einer internationalen Verpflichtung das Reduktionsziel bis 40 Prozent verstärkt werden kann. Von dieser Verstärkung kann gemäss dem Kompromiss, ein grosser Teil im Ausland erzielt werden.

Das heisst, dass die Schweiz immerhin mitziehen könnte, wenn die EU ihr Reduktionsziel auf 30 Prozent anhebt?

Nordmann: Ja, das ist gesichert. Die Kommission wünscht sich ein ehrgeiziges internationales Abkommen. Die Mehrheit hat zudem befunden, dass es in unserem eigenen Interesse, unsere Abhängigkeit von fossilen Energien zu verringern. Das senkt Kosten und erhöht die Sicherheit. Das ist auch für die Volkswirtschaft attraktiv: Cleantech schafft Arbeitsplätze. Das bietet mehr Perspektiven als die vermeintliche Wiederauferstehung des Finanzplatzes.

Vor vier Jahren haben Sie mit Ihrem Bündner CVP-Kollegen Sep Cathomas einen Kompromiss zur Einführung der CO2-Abgabe auf Brennstoffe erreicht. Wo sehen Sie heute Spielraum für Kompromisse?

Nordmann: Allenfalls bei der Energieeffizienz: Wenn die Hersteller von Geländewagen nicht genügend Fortschritte machen, dann könnte womöglich die Schutzklausel für Berggebiete aufgeweicht werden. Im grossen und ganzen war die CVP relativ kooperativ. Die CVP hat verstanden, dass Klimaschutz für die Wirtschaft attraktiv ist. Seit dem Kompromiss mit Sep Cathomas zur Brennstoffabgabe und dem darauffolgenden mit Ruedi Lustenberger (CVP-Nationalrat Kanton Luzern, stk) in der Gebäudesanierung wurde das Interesse der CVP an einer wirksamen Klimapolitik erhöht. Das schätze ich sehr. Für die SP hat sich die CVP in diesem Bereich zu einem relativ verlässlichen Partner entwickelt, jedenfalls im Vergleich mit der FDP.

Wie sehen Sie die Haltung der Wirtschaft? Immerhin hat sich der Dachverband economiesuisse in einem Inserat gegen einen weitergehenden Klimaschutz ausgesprochen.

Nordmann: Es gibt in der Wirtschaft einen klaren Bruch zwischen der Basis und den Verbandsfunktionären. An der Basis hat man verstanden, dass Energieeffizienz und erneuerbare Energien sehr attraktiv sind. Es gibt sehr viele Unternehmen, die in diesem Bereich tätig sind, von Hightech-Unternehmen bis zu Heizungsinstallateuren. Sie bieten Jobs im Inland, die nur begrenzt ins Ausland verlagert werden können. Es gibt trotzdem immer noch Verbandsfunktionäre, die immer noch ihrem alten Dogma folgen. Was wir in der Kommission von grossen Unternehmen gehört haben, war sehr positiv. Es gibt sogar Grossverteiler, die unser 20-Prozentziel für das Inland unterstützen. Die Ideologen aus der Zentrale von economiesuisse dagegen schrecken vor keiner Lüge zurück. So sagt economiesuisse, die Unternehmen hätten ihre CO2-Emissionen um 5 Millionen Tonnen pro Jahr verringert. Das ist falsch. Die Wirtschaft, also Industrie und Dienstleistungen, hat ihren jährlichen Ausstoss in den 18 Jahren, seit er gemessen wird, nur um 1,5 Millionen Tonnen verringert. Die economiesuisse vergisst bei ihren Berechnungen Klimaschutzes auch einzubeziehen, dass sich die Kosten des Importes fossiler Energieträger verringern werden. Das ist kurzsichtig und teilweise auch verlogen.

Vertritt aus Ihrer Sicht economiesuisse nicht mehr die Wirtschaft?

Nordmann: Nein. Economiesuisse vertritt in diesem Geschäft die Unternehmen von vorgestern statt die Unternehmen von morgen. Es ist bekannt, dass sie sehr stark die Interessen der Finanzunternehmen vertritt. Das hat auch die Maschinenindustrie geärgert. Dieser Konflikt lebt jetzt wieder auf.

Heisst das umgekehrt, dass die Unternehmen von morgen noch zu wenig ihre Interessen einbringen?

Nordmann: Es gibt bereits grosse Anstrengungen. Das zeigt die Gründung von swisscleantech. Auch die Fachverbände für erneuerbare Energien gruppieren sich neu. Swissolar, die ich präsidiere, repräsentiert einen Wirtschaftszweig mit einem Gesamtumsatz von zwei Milliarden Franken. Wir arbeiten auch verstärkt mit den Fachverbänden zusammen, deren Mitgliedsunternehmen bei den Gebäudehüllen tätig sind. Es gibt einen Paradigmenwechsel. Nachdem 20 Jahre nur in die Informatikinfrastruktur investiert worden ist, wird nun auch der Wert der realen Infrastruktur entdeckt, insbesondere der Energieinfrastruktur. Dieser Paradigmenwechsel hat auch damit zu tun, dass Finanzkrise und Klimakrise gleichzeitig sichtbar geworden sind.

Der Debatte im Parlament könnte eine Volksabstimmung über die Klimainitiative folgen. Glauben Sie das Volk überzeugen zu können, einer CO2-Reduktion um 30 Prozent zuzustimmen?

Nordmann: Die Initianten haben noch nicht entschieden, ob sie ihre Initiative zurückziehen. Das hängt auch vom Ausgang der Debatte im Parlament ab. Wenn es eine griffige Klimapolitik gibt, welche erlaubt, die gesetzten Ziele zu erreichen, dann ist es weniger notwendig, über die Initiative abzustimmen. Wenn aber die Klimaziele zu wenig ehrgeizig sind und es kaum Instrumente gibt, sie zu erreichen, dann ist eine Abstimmung unabdingbar.

Das Parlament entscheidet also indirekt mit, ob es zu einer Volksabstimmung kommt?

Nordmann: Eindeutig. Das CO2-Gesetz ist ja auch formell ein Gegenvorschlag zur Initiative, wenn auch ein indirekter auf Gesetzesebene.

Zur Person:

Der Waadtländer SP-Nationalrat Roger Nordmann ist Sprecher der Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie des Nationalrats zum CO2-Gesetz. Der 1973 in Lausanne geborene Politikwissenschaftler ist seit 2004 Mitglied des Nationalrats. Zuvor war er Mitglied des Kantonsrates, des Stadtparlaments Lausanne und der Waadtländer Konstituante. Seit Mai 2010 ist er Präsident von Swissolar, dem Fachverband der Schweizer Solarunternehmen.

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