Griechenland am Scheideweg


In Griechenland sind Neuwahlen unvermeidlich. Die Frage ist, was dann folgt. Denn keine der Parteien hätte nach dem Stand der Umfragen eine Mehrheit. Und die Probleme blieben die gleichen. Nur wenn EU und Währungsfonds dem Land entgegenkommen, hat es eine Chance.

Von Anke Stefan, Athen

Die Proteste und Streiks in Griechenland haben ein gemeinsames Ziel, die Sparpolitik der Regierung. Seit einem Jahr versucht die PASOK die Lasten der Schuldenkrise den immer gleichen aufzubürden, der Masse der Lohnabhängigen und Selbstständigen. Vermögende Steuerhinterzieher freilich können sich auch den höheren Steuern entziehen, eine Kontrolle ist nach wie vor selten. Geschröpft werden also die Ehrlichen oder die, die wie die meisten Lohnabhängigen gar nicht schummeln können.

Sparschraube würgt die Wirtschaft ab

Ähnlich sieht es im öffentlichen Dienst aus. Allen Angestellten werden die Bezüge gekürzt. Aber den von beiden großen Parteien über die Jahre in hochbezahlte Beraterposten eingesetzten Günstlingen geht es nicht an den Kragen. Den Krankenhäusern und Universitäten wird pauschal das Budget zusammengestrichen. Doch Verschwendung, Schlendrian und Bestechlichkeit bei der Vergabe von Lieferverträgen werden nach wie vor nicht unterbunden. Steuererhöhungen und Lohnkürzungen haben die Wirtschaft des Landes zum Erliegen gebracht, die Arbeitslosigkeit und die Ausgaben für Arbeitslosenunterstützung in die Höhe getrieben, die Zahlungen an die Sozialversicherungskassen einstürzen lassen. Die Wirtschaft schrumpft. Die Erfolglosigkeit dieser Sparstrategie wird mittlerweile von Wirtschaftsspezialisten überall in Europa angeprangert. Die Lücke zwischen den angestrebten und erzielten Einsparungen beläuft sich im Mai 2011 schon auf 3,1 Milliarden Euro (3,7 Milliarden Franken)

Regierungspartei verliert an Rückhalt

Der sozialdemokratischen Regierungspartei PASOK laufen angesichts der Erfolglosigkeit auf der einen und den Protesten der von den Einsparungen Betroffenen auf den anderen Seite die Parlamentarier davon. Der gewerkschaftlich organisierte Widerstand wächst, selbst die wichtigen Branchengewerkschaften in den Staatsbetrieben, die von der PASOK-Gewerkschaftsfraktion PASKE kontrolliert werden, laufen gegen die von der Regierung geplante Privatisierung Sturm. Drei Generalstreiks haben das Land schon erschüttert, der nächste ist in Vorbereitung. Dazu kommen die bereits in die vierte Woche gehenden allabendlichen Proteste der griechischen „Empörten“. Angesichts all dessen wird sich die Regierung nicht mehr lange halten können, Neuwahlen sind nur eine Frage der Zeit. Auch die Regierungsumbildung am Freitag ändert daran nichts. Denn es geht nicht um die Frage, welche Personen die Regierung bilden, sondern welche Politik diese macht. Und Papandreou hat bereits angekündigt, auch mit der neuen Regierung den bisherigen Weg fortsetzten zu wollen.

Keine Mehrheit bei Neuwahlen wahrscheinlich

Das griechische Wahlgesetz hat denkbar hohe Garantien für stabile Einparteienregierungen. Die stimmenstärkste Partei bekommt gleich 50 Bonussitze, ein Sechstel der 300 Mandate insgesamt. Trotzdem wird nach heutigem Stand der Umfragen erstmals seit Ende der Militärdiktatur 1974 weder die PASOK noch ihre konservative Konkurrentin Nea Dimokratia genug Stimmen für eine Alleinregierung bekommen. Im derzeitigen Parlament sind neben diesen beiden großen drei kleine Parteien im Parlament vertreten. Bei den nächsten Wahlen könnten laut Umfragen zusätzlich zwei bis drei weitere eine Chance haben, die Dreiprozenthürde zu überwinden. Möglichkeiten für eine Koalitionsregierung gibt es genug, bis hin zur großen Koalition ist alles drin. Wenn aber eine Koalition auch nur die Fortsetzung der bisherigen Politik mit anderen Personen bedeutet, sind neue, wildere Streiks und gewaltvollere Proteste vorprogrammiert, die früher oder später nur noch mit Staatsgewalt unterdrückbar wären.

Revolution bleibt aus

Trotz aller derzeitigen Proteste und der Rückhaltlosigkeit der Regierung selbst innerhalb der eigenen Partei aber steht Griechenland keineswegs an der Schwelle einer Revolution. Die überwiegende Mehrheit der heute Protestierenden hat sich nicht den Sturz des Systems auf die Fahnen geschrieben, sondern fordert ein Ende der Korruption, die Bestrafung der Schuldigen und Reformen, die einerseits das Land aus der Krise führen, ihnen andererseits aber nicht untragbare Lasten aufbürden. Ein demokratischer Ausweg aus der politischen und ökonomischen Krise ist nur mit einem dem entsprechenden Richtungswechsel in der Politik möglich. Dies aber geht nur mit dem Einverständnis der Gläubiger in EU und IWF. Das Schicksal Griechenlands liegt in Europas Hand.

 

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