Türkei feiert ihre Helden von Gaza


Mit einem Volksfest im Zentrum von Istanbul wurden die aus vorübergehender israelischer Haft entlassenen Teilnehmer an der Gaza-Hilfsflottille empfangen. Einziger Dämpfer war die Ankunft der neun Särge mit den bei der Attacke Getöteten.

Von Jürgen Gottschlich, Istanbul

Von einer eilig aufgebauten Bühne am Rand des zentralen Taksim Platzes in Istanbul, röhrt eine völlig überdrehte Stimme. Der Redner selbst ist nicht zu sehen, aber er wird auf eine Großleinwand übertragen. Abdelrahman Dilipak ist eine führende Figur der türkischen Islamistenszene und hämmert seinen Zuhörern noch einmal ein, wie schlimm Israel sei.

Stimmung ohne Hass

Doch der ganz überwiegende Teil der mehrere tausend Menschen umfassenden Menge, ist an dem Gedröhne von der Bühne nicht sonderlich interessiert. Man redet mit Freunden, schwingt ab und zu seine Palästinenserfahne und sammelt sich um die zahlreichen Büffets, die fliegende Händler aufgebaut haben. Es ist bereits ein Uhr in der Nacht und die Stimmung ist ganz und gar nicht hasserfüllt, wie Israels Regierungschef Netanjahu die Welt glauben machen will, sondern ähnelt eher einem Volksfest. Die Leute sind in freudiger Erregung, weil in kürze auf dem Istanbuler Flughafen „ihre Helden“ aus Gaza landen werden. Knapp 500 Aktivisten sind an Bord von drei Turkish-Airlines Maschinen, die Mehrzahl Türken, aber auch sechs Deutsche und Angehörige vieler anderer Nationalitäten.

Tote als Märtyrer geehrt

Einziger Stimmungsdämpfer sind die neun Särge, die ebenfalls an Bord sind. Noch in der Nacht verdichteten sich die Gerüchte, dass alle neun Toten Türken seien, am Donnerstagmorgen war es dann amtlich. Laut Obduktionsbericht wurden alle Neun erschossen, einer von ihnen ist Amerikaner türkischer Herkunft. Während die Menge auf dem Taksim Platz die Landung auf dem Istanbuler Flughafen auf der Großleinwand verfolgt, nimmt der stellvertretende Ministerpräsident Bülent Arinc die Rückkehrer persönlich in Empfang. Die Toten werden offiziell als Märtyrer geehrt. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die auf dem Schiff „Mavi Marmara“ von israelischen Soldaten erschossenen Männer bereits mit dem Ablegen des Hilfskonvois zum Märtyrertod entschlossen gewesen seinen, wie die israelische Propaganda nun unterstellt. Vielmehr versichern alle jetzt Zurückgekehrten, sie hätten niemals mit einer solchen Eskalation gerechnet.

Blockade sollte gebrochen werden

Vergleicht man die Angaben der Teilnehmer an der Hilfsflottille, ist es tatsächlich so, dass für viele der Hauptzweck der Aktion war, die israelische Blockade des Gaza-Streifens zu durchbrechen, also ein politisches Statement zu setzen. Entsprechend weigert sich die Hamas auch jetzt, die Hilfslieferung von Israel entgegen zu nehmen. Die türkischen Organisatoren, die islamische Wohlfahrtsorganisation IHH, rechnete wohl mit Zusammenstößen, allerdings eher im Stil von Greenpeace Rangeleien mit Wahlfangflotten. „Das es Tote gab hat, uns alle geschockt“, sagte der Leiter von IHH, Bülent Yildirim, in einem Interview im türkischen Fernsehen nach seiner Rückkehr. Er bestätigte, dass Aktivisten des IHH mit Stöcken gegen israelische Soldaten losgingen, als diese sich von Hubschraubern abseilten, man habe den Soldaten auch Waffen entrissen, diese allerdings sofort ins Meer geworfen. „Wir wollten unser Schiff verteidigen, wo wir auf hoher See angegriffen wurden“.

Organisator IHH im Blickpunkt

Die IHH, die jetzt als Hauptorganisator der Gaza Flottille in den Mittelpunkt des Interesse rückt, ist von ihrem ganzen Auftreten her alles andere als eine professionell organisierte Dschihadisten-Truppe. Ihr Hauptquartier ist in einem zweistöckigen Haus im konservativ-religiösen Istanbuler Stadtbezirk Fatih. Die Organisation wirkt unter dem Ansturm von Medien und Familien, deren Angehörige auf einem der Schiffe waren, völlig überfordert. Gegründet wurde die IHH während des Balkan-Krieges zur Unterstützung der muslimischen Bosniaken. Die IHH war danach an verschiedenen Schauplätzen mit Hilfslieferungen aktiv, seit zwei Jahren konzentriert man sich nun auf Gaza. Rund 20 Aktivisten des IHH sind derzeit im Gaza Streifen selbst aktiv, aber für die frommen Muslime der IHH ist Hamas natürlich keine Terrororganisation sondern die durch demokratische Wahl legitimierte Regierung.

Ihre angeblich nachgewiesene Gefährlichkeit, auf die nun in diversen Artikeln in westlichen Medien und Internetforen verwiesen wird, basiert auf einem französischen Geheimdienstbericht aus der Zeit des Balkankrieges, wo ihnen vorgeworfen wird, sie hätten mit falschen Papieren islamische Kämpfer eingeschleust.

Allerdings hat IHH Chef Bülent Yildirim jetzt die Gunst der Stunde erkannt. „Wir werden einen neuen Konvoi zusammen stellen“, kündigte er an, „solange bis die Blockade aufgehoben ist“. Ein Schiff unter irischer Flagge, das wegen eines Motorschadens in Malta liegen geblieben war und an der Flottille nicht hatte teilnehmen können, ist bereits jetzt auf dem Weg nach Gaza. Das irische Außenministerium hat Israel dringend aufgefordert, das Schiff passieren zu lassen.

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